Lieber Leser, Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Und bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen. Denn wenn Sie sich dieses Buch erarbeitet haben, werden Sie ein anderer Mensch sein! Möchten wir das nicht auch? Wozu lesen wir denn über ein Thema, welches uns interessiert, wenn wir nicht auch Neuland betreten wollen? …
Uwe Lehnert nennt z. B. das christliche Abendmahl mit Recht einen bizarr-kannibalischen Kult aus überkommener Zeit. Der christliche Glaube ist für ihn eine gedankliche Konstruktion, die aus älteren religiösen Vorbildern und Mythen, unter anderen dem Mithraskult, durch machtinteressierte Menschen entwickelt wurden. Gleichzeitig anerkennt er auch den Trost, die Hoffnung und den Glauben an die Zukunft, den diese Religion spendet und sicherlich von vielen in großem Glauben gegeben und empfangen wird. Nur — mit einem Jenseits hat das alles nichts zu tun. Selbst ihm fällt es schwer, mit einem betonten “Ja” zu antworten, wenn es um die Frage geht, ob es sich beim Glauben um eine religiöse “Einbildung” handelt, um eine Wahnvorstellung, in deren Schatten die wunderbaren kirchenmusikalischen Werke eines Johann Sebastian Bach geschaffen worden sind oder auch wenn es um das opfervolle Leben unzähliger Menschen geht.
Wir, die wir zumeist ab der frühesten Kindheit christlich indoktriniert sind, haben keine Probleme damit, den Glauben der Muslime und der Hindus als Irrglauben abzutun — und viele werden erst durch die glasklare Darstellung in dieser lesenswerten fünften Ausgabe bemerken, dass auch ihr Glaube ein Aberglaube ist.
Uwe Lehnert schreibt auch über die Einmaligkeit unseres Daseins, über das ungeheure Glück, nicht nur, dass wir einen kosmischen Augenblick lang an diesem Leben teilnehmen dürfen, sondern uns dessen auch bewusst sind! Wir wussten nicht, wo wir vorher waren, und unsere Atome werden weiterziehen – aber WIR, im Gegensatz zu vielen anderen denkbaren möglichen “ICH’s”, werden gelebt haben! Das genügt.
Bei aller Skepsis (ob der dogmatisch auferlegten Glaubensgrundsätze) den Menschen gegenüber, die im Laufe der Jahrhunderte eine Schrift zusammengestellt und für heilig erklärt haben, wird in diesem Buch dennoch die Größe und Erhabenheit der Kunstwerke gesehen, die im Schatten der tiefen Volksfrömmigkeit entstanden sind. Auch die Gestaltung des Jahresablaufs, gleich ob heidnischen oder christlichen Ursprungs, wird nicht in Frage gestellt, auch nicht die Rituale bei Hochzeits- oder Begräbnisfeierlichkeiten, obwohl der Verstand sich lautstark meldet, sobald ein Kleriker den Mund aufmacht und alte Ritualbestandteile ausbreitet. Wörtlich: “… es fehlt eine Form von Feierlichkeit, die das Gemüt – oder wenn man es lieber so ausdrücken möchte: die Seele – anspricht, ohne den Verstand zu kränken.”
Es wird klargestellt, dass das Gebet nichts nützt, dass auch ein Papst sich lieber in die heilende Kunst ärztlicher Hände begibt, das Papamobil mit sechs Zentimeter Panzerglas geschützt ist und alle Gotteshäuser mit Blitzableitern versehen sind. Fragen wie: Warum sind bei dem Erdbeben in Lissabon 1755 besonders viele Gläubige umgekommen oder wann sei je einem Bedrängten durch ein Gebet Hilfe zugekommen außer durch Menschen, müssen erlaubt sein, auch wenn die Kirchen einen solchen Fragesteller am liebsten noch heute würden brennen sehen.
“Der Kern des Christentums ist eine Wunschvorstellung” entstanden aus der Sehnsucht der Menschen nach Schutz, Halt und Sinn, ausgenutzt durch eine Priesterkaste, die Macht und Einfluss über die Menschen gewinnen und behalten will. …
Viele Bücher habe ich inzwischen gelesen, die sich mit Religionskritik und mit dem Christentum befassen. Dieses ist das absolut feingeistigste und feinsinnigste, zurückhaltendste, dem jede Angriffslust fehlt – was wohl an der privaten Natur des Autors liegt, den ich persönlich noch gar nicht kenne. Es kommt dem Autor überhaupt nicht auf Angriff an, sondern nur auf die Erfassung logischer Zusammenhänge zum Zweck des eigenen Verstehens.
Aber mit dem Verstehen des Christentums haben schon andere ihre Probleme gehabt.