Dr. Fritz Berthold (Duisburg)

Lieber Leser, Sie müssen jetzt ganz tapfer sein. Und bereit, zu neuen Ufern auf­zu­bre­chen. Denn wenn Sie sich dieses Buch erar­bei­tet haben, werden Sie ein ande­rer Mensch sein! Möch­ten wir das nicht auch? Wozu lesen wir denn über ein Thema, wel­ches uns inter­es­siert, wenn wir nicht auch Neu­land betre­ten wollen? …

Uwe Leh­nert nennt z. B. das christ­li­che Abend­mahl mit Recht einen bizarr-kan­ni­ba­li­schen Kult aus über­kom­me­ner Zeit. Der christ­li­che Glaube ist für ihn eine gedank­li­che Kon­struk­tion, die aus älte­ren reli­giö­sen Vor­bil­dern und Mythen, unter ande­ren dem Mithras­kult, durch macht­in­ter­es­sierte Men­schen ent­wi­ckelt wurden. Gleich­zei­tig aner­kennt er auch den Trost, die Hoff­nung und den Glau­ben an die Zukunft, den diese Reli­gion spen­det und sicher­lich von vielen in großem Glau­ben gege­ben und emp­fan­gen wird. Nur — mit einem Jen­seits hat das alles nichts zu tun. Selbst ihm fällt es schwer, mit einem beton­ten “Ja” zu ant­wor­ten, wenn es um die Frage geht, ob es sich beim Glau­ben um eine reli­giöse “Ein­bil­dung” han­delt, um eine Wahn­vor­stel­lung, in deren Schat­ten die wun­der­ba­ren kir­chen­mu­si­ka­li­schen Werke eines Johann Sebas­tian Bach geschaf­fen worden sind oder auch wenn es um das opfer­volle Leben unzäh­li­ger Men­schen geht.

Wir, die wir zumeist ab der frü­hes­ten Kind­heit christ­lich indok­tri­niert sind, haben keine Pro­bleme damit, den Glau­ben der Mus­lime und der Hindus als Irr­glau­ben abzu­tun — und viele werden erst durch die glas­klare Dar­stel­lung in dieser lesens­wer­ten fünf­ten Aus­gabe bemer­ken, dass auch ihr Glaube ein Aber­glaube ist.

Uwe Leh­nert schreibt auch über die Ein­ma­lig­keit unse­res Daseins, über das unge­heure Glück, nicht nur, dass wir einen kos­mi­schen Augen­blick lang an diesem Leben teil­neh­men dürfen, son­dern uns dessen auch bewusst sind! Wir wuss­ten nicht, wo wir vorher waren, und unsere Atome werden wei­ter­zie­hen – aber WIR, im Gegen­satz zu vielen ande­ren denk­ba­ren mög­li­chen “ICH’s”, werden gelebt haben! Das genügt.

Bei aller Skep­sis (ob der dog­ma­tisch auf­er­leg­ten Glau­bens­grund­sätze) den Men­schen gegen­über, die im Laufe der Jahr­hun­derte eine Schrift zusam­men­ge­stellt und für heilig erklärt haben, wird in diesem Buch den­noch die Größe und Erha­ben­heit der Kunst­werke gese­hen, die im Schat­ten der tiefen Volks­fröm­mig­keit ent­stan­den sind. Auch die Gestal­tung des Jah­res­ab­laufs, gleich ob heid­ni­schen oder christ­li­chen Ursprungs, wird nicht in Frage gestellt, auch nicht die Rituale bei Hoch­zeits- oder Begräb­nis­fei­er­lich­kei­ten, obwohl der Ver­stand sich laut­stark meldet, sobald ein Kle­ri­ker den Mund auf­macht und alte Ritu­al­be­stand­teile aus­brei­tet. Wört­lich: “… es fehlt eine Form von Fei­er­lich­keit, die das Gemüt – oder wenn man es lieber so aus­drü­cken möchte: die Seele – anspricht, ohne den Ver­stand zu kränken.”

Es wird klar­ge­stellt, dass das Gebet nichts nützt, dass auch ein Papst sich lieber in die hei­lende Kunst ärzt­li­cher Hände begibt, das Papa­mo­bil mit sechs Zen­ti­me­ter Pan­zer­glas geschützt ist und alle Got­tes­häu­ser mit Blitz­ab­lei­tern ver­se­hen sind. Fragen wie: Warum sind bei dem Erd­be­ben in Lis­sa­bon 1755 beson­ders viele Gläu­bige umge­kom­men oder wann sei je einem Bedräng­ten durch ein Gebet Hilfe zuge­kom­men außer durch Men­schen, müssen erlaubt sein, auch wenn die Kir­chen einen sol­chen Fra­ge­stel­ler am liebs­ten noch heute würden bren­nen sehen.

Der Kern des Chris­ten­tums ist eine Wunsch­vor­stel­lung” ent­stan­den aus der Sehn­sucht der Men­schen nach Schutz, Halt und Sinn, aus­ge­nutzt durch eine Pries­ter­kaste, die Macht und Ein­fluss über die Men­schen gewin­nen und behal­ten will. …

Viele Bücher habe ich inzwi­schen gele­sen, die sich mit Reli­gi­ons­kri­tik und mit dem Chris­ten­tum befas­sen. Dieses ist das abso­lut fein­geis­tigste und fein­sin­nigste, zurück­hal­tendste, dem jede Angriffs­lust fehlt – was wohl an der pri­va­ten Natur des Autors liegt, den ich per­sön­lich noch gar nicht kenne. Es kommt dem Autor über­haupt nicht auf Angriff an, son­dern nur auf die Erfas­sung logi­scher Zusam­men­hänge zum Zweck des eige­nen Verstehens.

Aber mit dem Ver­ste­hen des Chris­ten­tums haben schon andere ihre Pro­bleme gehabt.