Endgültiger Abschied von Christentum und Kirche
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2. Die erschütternde Bilanz von 2000 Jahren Christentum
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Ein besonderes Kapitel, gerade für uns Deutsche, stellt die blutige Verfolgung der Juden dar. Die Opfer in den zwei Jahrtausenden seit Beginn des Christentums addieren sich zu einer zweistelligen Millionenzahl. Sie wurden erschlagen, ertränkt, verbrannt, erschossen, vergast oder sonst wie zu Tode gebracht, fast immer aus christlich-religiösen Motiven; die Nationalsozialisten gaben rassische Gründe an. Besonders über die Massenvernichtung unter Hitler ist in hunderten Büchern und tausenden Aufsätzen ausführlichst und kompetent berichtet und über Ursachen nachgedacht worden. Es erscheint daher entbehrlich, dass auch ich mich hier dazu äußere. Aber ich möchte einen wesentlichen Aspekt beleuchten, der so in Schule und politischer Aufklärung zumindest in meiner Zeit nie zur Sprache kam und bis heute in der öffentlichen Diskussion tabuisiert wird.
In den wenigen Geschichtsstunden in meiner Schulzeit zu diesem Thema, hauptsächlich jedoch bei der Zeitungslektüre über Prozesse gegen KZ-Kommandanten, fragte ich mich immer wieder, wie es möglich war, in der relativen Kürze der nationalsozialistischen Herrschaft ein solches Vernichtungsprogramm umzusetzen. Es muss – so meine damals unterschwellige Vermutung – schon eine breite antisemitische, mindestens jedoch gleichgültige Haltung in der Bevölkerung vorhanden gewesen sein, denn ohne diese wäre die rassisch-ideologische Begründung dieser Vernichtungsmaßnahmen nicht von so vielen Mithelfern und Mitwissern so einfach hingenommen worden.
Der Hinweis auf die – tatsächlich ja begründete – Angst der Menschen vor eigener Verfolgung, wenn Widerspruch offen geäußert oder gar Widerstand geleistet worden wäre, erklärt dieses Phänomen in keiner Weise. Selbst hohe Kirchenvertreter, denen Amt und gesellschaftliche Stellung genügend Schutz vor unmittelbarer Bedrohung geboten hätten, verurteilten diese Verfolgungen, von rühmlichen Ausnahmen abgesehen, nicht. Ich kann mir das nur mit einer schon latent vorhandenen, und zwar europaweit verbreiteten, antijüdischen Grundhaltung weiter Bevölkerungskreise und ‑schichten erklären. Und blickt man weiter zurück in die Geschichte, dann stellt man schnell fest, dass es tatsächlich schon seit Jahrhunderten furchtbare Pogrome und Vernichtungsaktionen gegen die Juden gegeben hat. Der Antisemitismus ist also keine Erfindung der Nationalsozialisten, wie uns durch Schule und Nachkriegsaufklärung suggeriert werden sollte, sondern hat viel tiefer und viel weiter zurückliegende Ursachen. Die Wurzeln dieses Antisemitismus gründen – und diese Erkenntnis war auch für mich zunächst unglaublich – praktisch ausschließlich in der christlichen Lehre und der sich auf sie berufenden Kirche!
Diese für viele gutgläubige Christen sicherlich schwer zu ertragende Behauptung wird inzwischen von vielen Religionswissenschaftlern, ja selbst von evangelischen Theologen, zum Beispiel von Gerd Lüdemann, und katholischen, zum Beispiel Uta Ranke-Heinemann, ausführlich begründet und vertreten. Ranke-Heinemann formuliert: »Die 2000-jährige Geschichte des Christentums ist eine Geschichte 2000-jähriger Judenverfolgung.« Der aus der Kirche ausgetretene Theologe Joachim Kahl führt in seinem Weltbestseller »Das Elend des Christentums« (S. 43f) unter anderem aus:
»[Die Evangelien bemühen sich,] die Schuld am Tode Jesu von den römischen Behörden (Pilatus) ganz auf die Juden abzuwälzen. Schon bei Markus, dem ältesten Evangelium, sträubt Pilatus sich, Jesus zu verurteilen (15, 10: ›Denn er erkannte, daß ihn die Hohenpriester aus Neid überliefert hatten‹). Noch eindringlicher läßt Lukas den Pilatus die Unschuld Jesu beteuern (23, 4: ›Pilatus aber sagte zu den Hohenpriestern und der Volksmenge: Ich finde keine Schuld an diesem Menschen‹, vgl. 23, Verse 14, 20, 22, 25). Matthäus vollends fügte die bekannte Szene ein, wo Pilatus sich die Hände wäscht und beteuert: ›Ich bin unschuldig am Blute dieses Gerechten; sehet ihr zu‹ (27, 24). Dann folgt jener berüchtigte Vers, der sich in den folgenden Jahrhunderten schauerlich erfüllen sollte: ›Und alles Volk antwortete und sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!‹ Diese Selbstverfluchung, die Matthäus infam erfand – wie die historisch-kritische Forschung längst nachgewiesen hat –, halst dem jüdischen Volk als Ganzem die Schuld am Tode des Gottessohnes auf.« 50
Wie hätte sich die christliche Lehre entwickelt, wenn Judas Jesus nicht verraten hätte, wenn den Juden nicht diese Rolle zugedacht worden wäre? Wäre Jesus verhaftet und gekreuzigt worden, wäre er wie beschrieben auferstanden? Wäre Jesus dann zum göttlichen Erlöser der Menschen geworden? So wie berichtet, lief es eigentlich entsprechend Gottes Heilsplan ab: Verrat, Verurteilung, Hinrichtung, Jesus als Opfer. Für der Menschen Schuld sei Jesus gestorben, schuld aber an seinem Tod seien die Juden, heißt es. Oder stellt sich das alles ganz anders dar? Ist der biblische Text später »angepasst« worden, um nachträglich den Tod von Jesus als Opfer darzustellen? Welche höchst fragwürdige Geschichte wird uns da präsentiert! Kahl fährt fort:
»Der antisemitisch zugespitzte Vorwurf des Christusmordes findet sich auch bei Paulus, der im ersten Thessalonicherbrief schreibt: ›Sie haben den Herrn Jesus und die Propheten getötet und haben uns verfolgt und gefallen Gott nicht und sind gegen alle Menschen feindselig. Sie hindern uns, den Heiden zu ihrem Heil zu predigen, damit sie das Maß ihrer Sünden jederzeit voll machen. Doch das Zornesgericht ist endgültig über sie gekommen‹ (2, 15f). … Den unüberbietbaren Gipfel neutestamentlichen Antisemitismus stellt das Johannesevangelium dar, an dem sich besonders deutlich ablesen läßt, daß jede christliche Theologie notwendig ihren Juden, die mythische Projektion des absoluten Außenfeindes, braucht. Klarer als alle anderen Schriften durchzieht das vierte Evangelium ein strenger Dualismus, der mit den Begriffen: Licht und Finsternis, Wahrheit und Lüge, oben und unten, himmlisch und irdisch, Gott und Teufel, Freiheit und Knechtschaft, Leben und Tod operiert. Dem Licht gehört an, wer dem Offenbarer glaubt, der da sagt: ›Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater außer durch mich‹ (Joh 14, 6). … Der entscheidende Begriff, der den Ungläubigen beigelegt wird, ist der der ›Welt‹ – oder der der ›Juden‹. Beides wird durchgängig austauschbar gebraucht.«
Des Weiteren führt Kahl aus, dass Kirchenlehrer und Kirchenväter auf der Basis dieser und weiterer Bibelstellen bereits in den ersten Jahrhunderten in ihren Schriften die Juden als Mörder von Christus, als Fälscher der Heiligen Schrift, als geldgierig und verbrecherisch, ihre Synagogen als Satansburgen (Offenbarung des Johannes, Kap. 3, Vers 9!) brandmarkten. Unter Kaiser Konstantin (4. Jahrhundert) und seinen Söhnen wurde der Übertritt zum Judentum mit schweren Strafen belegt und Mischehen zwischen Juden und Christen wurden mit dem Tode bestraft. Unter Kaiser Theodosius II. (5. Jahrh.) wurden die Juden von allen öffentlichen Ämtern und Würden ausgeschlossen. Das IV. Laterankonzil (1215) legte eine besondere Judentracht fest: Einen gelben Fleck im Obergewand und eine gehörnte Kappe. Kahl verweist darauf, dass unzählige Mysterien‑, Passions- und Fastnachtsspiele, Traktate und Heiligenlegenden die Juden verhöhnen und verleumden. Viele mittelalterliche Bilder stellen den Teufel mit einer gebogenen Nase (»Judennase«) dar. In vielen alten, gelegentlich noch heute zu hörenden Sprichwörtern und Redewendungen steht das biblisch bezogene »Jüdische« als Synonym für das Böse und Negative schlechthin.
Bemerkenswert ist, dass noch heute etwa 25 deutsche Kirchen die »Judensau« in Form von Steinreliefs oder Skulpturen zeigen. Wikipedia schreibt dazu im Beitrag »Judensau« Folgendes: Die Tiermetapher »Judensau« bezeichnet ein im Hochmittelalter entstandenes häufiges Bildmotiv der antijudaistischen christlichen Kunst. Es sollte Juden verhöhnen, ausgrenzen und demütigen, da das Schwein im Judentum als unrein gilt und mit einem religiösen Nahrungstabu belegt ist. Diese Darstellungen sind noch heute zu betrachten, in vielen Fällen gut erhalten oder restauriert.
Diese wenigen, hier nur angedeuteten Beispiele ließen sich durch viele weitere vermehren. Sie lassen unzweideutig erkennen, dass durch die gesamte Kirchengeschichte, und zwar von Anfang an, die Juden als teuflische Elemente angesehen und für alle Übel dieser Welt verantwortlich gemacht wurden, beispielsweise auch für die verheerende, Millionen Menschen dahinraffende Pestepidemie von 1347–1349. Muss man sich da noch wundern, dass sich auf diese Weise eine tiefsitzende Abneigung, ja geradezu Hass – so bar jeder rationalen Begründung auch immer – in allen Bevölkerungsschichten breitgemacht und fest verankert hat? Wenn dann noch eine so sprachgewaltige Autorität wie Martin Luther mit ihrem weitreichenden, bis in unsere Zeit wirksamen Einfluss ihre wohlüberlegten Hetztiraden gegen die Juden loslässt (siehe Kap. V, 3), dann kann ich nicht anders, als von einer systemimmanenten, das heißt, dieser christlichen Lehre als Wesensbestandteil innewohnenden Ungeheuerlichkeit zu sprechen. Nur in seltenen Fällen verhinderten Päpste und Bischöfe diese Verleumdungen und Verfolgungen.
Wer an den Begriffen »Wesensbestandteil« und »Ungeheuerlichkeit« Anstoß nimmt, überlege sich, was alles aus dem Neuen Testament gestrichen werden müsste, welche Konsequenzen das für die Leidensgeschichte von Jesus und die darin tragende Rolle der Juden hätte und welchen Verlauf die moralische und zivilisatorische Entwicklung in Europa genommen hätte, wenn den Juden nicht diese infame Rolle zugewiesen worden wäre. »Judas der Verräter« und »die Juden als Gottesmörder« sind begriffliche Etiketten, die ihre diffamierende Wirkung bis heute entfalten.
Wer diese Zeilen nur mit abwehrendem Kopfschütteln lesen und nicht akzeptieren mag, schlage wenigstens die Seiten 42–52 (in der erwähnten 3. Auflage: S. 46–54) in Joachim Kahl »Das Elend des Christentums« oder bei Karlheinz Deschner »Abermals krähte der Hahn« die Seiten 442–464 auf. Wer sich umfassender informieren möchte, lese – wie oben schon erwähnt – »Das Unheilige in der heiligen Schrift« des evangelischen Theologen Gerd Lüdemann oder »Nein und Amen – Mein Abschied vom traditionellen Christentum« der katholischen Theologin Uta Ranke-Heinemann. 51
In seinem 2008 erschienenen Buch »Gesichter des Antisemitismus« beschreibt der international als Wissenschaftler und Autor historischer Werke ausgewiesene Antisemitismusforscher Walter Laqueur (*1921), welche Formen des Hasses den Juden schon in der Antike entgegenschlugen. Neben üblicher, in allen Kulturen anzutreffender Fremdenfeindlichkeit war es hier vor allem jene christlich-religiöser Begründung. Laqueur stellt fest (S. 14): »Aus historischer Sicht bedeutsam ist die Tatsache, dass sich das von den christlichen … Theologen geschaffene Stereotyp des Juden über Jahrhunderte hinweg hielt und bis heute weiterwirkt«. Auch er verweist auf einschlägige antijüdische Stellen im Matthäus‑, Lukas- und Johannes-Evangelium (S. 60f). Als besonders feindselig gegenüber den Juden erwähnt er die Kirchenmänner Justin der Märtyrer, Origenes, Bischof von Alexandria, und Johannes Chrysostomos, Erzbischof von Konstantinopel, sowie den bis heute hoch geschätzten Kirchenvater Aurelius Augustinus (S. 62f). 52
Ein antichristlicher Polemik gewiss unverdächtiger Autor ist der bekannte und allseits geachtete Theologe Hans Küng (*1928). Er schreibt in seinem Buch: »Christ sein«:
»… so verschärfte sich die Lage der Juden insbesondere seit dem Hochmittelalter ungemein: Judenschlächtereien in Westeuropa während der ersten drei Kreuzzüge und Ausrottung der Juden in Palästina. Die Vernichtung von 300 jüdischen Gemeinden im Deutschen Reich 1348/49 und die Ausweisung der Juden aus England (1290), Frankreich (1394), Spanien (1492) und Portugal (1497). Später dann aber auch die greulichen antijüdischen Hetzreden des alten Luther, Judenverfolgungen nach der Reformation, Pogrome in Osteuropa … Alles unfaßbar für den Verstand eines heutigen Christen. … Nicht die Reformation, sondern der Humanismus (Reuchlin, Scaliger), dann der Pietismus (Zinzendorf) und besonders die Toleranz der Aufklärung (Menschenrechtserklärung in den Vereinigten Staaten und in der Französischen Revolution) haben eine Änderung vorbereitet und teilweise auch durchgesetzt.« 53
Die immer wieder aufgestellte Behauptung von der moralischen Bastion des Christentums beruht auf absoluter Unkenntnis oder dem Nichtwahrhaben-wollen der in weiten Strecken blutrünstigen Geschichte dieser Religion und der auf ihr errichteten Kirche.
Um auch das ganz deutlich zu sagen: Die für mich zur Tatsache gewordene These von den christlichen und kirchlichen Wurzeln des Antisemitismus relativiert die exorbitanten Verbrechen der Nationalsozialisten an den Juden nicht um einen Hauch. Sie macht mir aber den vergleichsweise geringen Grad an Widerstand auch führender gesellschaftlicher und politischer Kräfte im In- und Ausland gegen diese staatlichen Massenmorde verständlicher. Die ob ihres selbstlosen Mutes und ihrer menschlichen Solidarität moralisch nicht hoch genug einzuschätzenden Aktivitäten einzelner Helfer der Verfolgten sowie die in kleinen, auch christlichen beziehungsweise kirchlichen, Gruppen organisierten Widerstandskämpfer, die sich gegen diese Mordmaschinerie auflehnten, konnten leider an der Bilanz nicht viel ändern, auch wenn jedes einzelne gerettete Menschenleben unermesslich schwer wiegt.
Bekannt ist das offenbar gleichgültige, manche Historiker sprechen sogar von einem stillschweigend zustimmenden Schweigen von Papst Pius XII. (1876–1958) zu den Verbrechen während der nationalsozialistischen Herrschaft, für die Auschwitz als Symbol steht. Welche Rolle spielte der 1933 zwischen dem Vatikan und der Hitlerregierung geschlossene, noch heute (!) gültige Vertrag, das so genannte Reichskonkordat? Ob die darin der katholischen Kirche großzügig eingeräumten Zugeständnisse den Vatikan veranlassten, in quasi neutraler Haltung über die Geschehnisse im Zusammenhang mit der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung hinwegzusehen?
Eine dokumentenreiche Abhandlung stellt das im Jahr 2013 erschienene Buch »Pius XII. und die Vernichtung der Juden« dar. Das Buch widmet sich unter anderem der Frage, was der Papst von der systematischen Ermordung der Juden wusste und warum er zu deren Verfolgung so beharrlich schwieg. Der belgische Autor Dirk Verhofstadt (*1955) kann belegen, dass der Papst weitgehend über die Vorkommnisse informiert war. Der Papst schwieg, weil er im Hitler-Regime die einzige Macht sah, die sich dem Kommunismus entgegenstemmen könnte. Aber er sah im Nationalsozialismus auch einen Verbündeten gegen Aufklärung und Liberalismus, die für ihn Feinde von Religion und priesterlicher Vormacht darstellten. Die von Seiten der Kirche gern zitierte Enzyklika von 1937 »Mit brennender Sorge« ergehe sich in allgemeinen Aussagen gegen Rassismus, erwähne aber die Verfolgung der Juden mit keinem Wort. Die katholische Kirche protestierte nur, wenn sie ihre Interessen tangiert sah. Auch Verhofstadt geißelt den Antisemitismus als »Krebsgeschwür in der christlich-europäischen Geschichte«. 54
Fest steht, dass die katholische Kirche in erheblichem Maße das Hitler-Regime und damit direkt und indirekt deren antisemitische Maßnahmen gestützt hat. Dies hier im Einzelnen zu begründen, würde den Rahmen meiner Ausführungen sprengen. Aber eine Stimme sei hier noch erwähnt, die sehr deutlich zumindest das Versagen der führenden Köpfe auch der katholischen Kirche, nämlich der Bischöfe, beklagt. Kein Geringerer als Konrad Adenauer (1876–1967) schrieb am 23. Februar 1946 an Pastor Bernhard Custodis:
Ich glaube, daß, wenn die Bischöfe alle miteinander an einem bestimmten Tage öffentlich von den Kanzeln aus dagegen Stellung genommen hätten, sie vieles hätten verhüten können. Das ist nicht geschehen und dafür gibt es keine Entschuldigung. Wenn die Bischöfe dadurch ins Gefängnis oder in Konzentrationslager gekommen wären, so wäre das kein Schade, im Gegenteil. Alles das ist nicht geschehen und darum schweigt man am besten. 55
Kaum bekannt ist, dass die evangelischen Landesbischöfe und Landeskirchenpräsidenten von Sachsen, Hessen-Nassau, Mecklenburg, Schleswig-Holstein, Anhalt, Thüringen und Lübeck am 17.12.1941 sich mit folgender Erklärung eindeutig hinter das nationalsozialistische Programm der Judenverfolgung stellten:
»Die nationalsozialistische deutsche Führung hat mit zahlreichen Dokumenten unwiderleglich bewiesen, daß dieser Krieg in seinen weltweiten Ausmaßen von den Juden angezettelt ist. Als Glieder der deutschen Volksgemeinschaft stehen die unterzeichneten deutschen Evangelischen Landeskirchen und Kirchenleiter in der Front dieses historischen Abwehrkampfes, der unter anderem die Reichspolizeiverordnung über die Kennzeichnung der Juden als der geborenen Welt- und Reichsfeinde notwendig gemacht hat. Schon Dr. Martin Luther erhob nach bitteren Erfahrungen die Forderung, schärfste Maßnahmen gegen die Juden zu ergreifen und sie aus deutschen Landen auszuweisen. Von der Kreuzigung Christi bis zum heutigen Tage haben die Juden das Christentum bekämpft oder zur Erreichung ihrer eigennützigen Ziele missbraucht oder verfälscht. Durch die christliche Taufe wird an der rassischen Eigenart des Juden, seiner Volkszugehörigkeit und seinem biologischen Sein nichts geändert. Eine deutsche evangelische Kirche hat das religiöse Leben deutscher Volksgenossen zu pflegen und zu fördern. Rassejüdische Christen haben in ihr keinen Raum und kein Recht. Die unterzeichneten deutschen Evangelischen Kirchen und Kirchenleiter haben deshalb jegliche Gemeinschaft mit Judenchristen aufgehoben. Sie sind entschlossen, keinerlei Einflüsse jüdischen Geistes auf das deutsche religiöse und kirchliche Leben zu dulden.« 56
Die Verbeugung dieser Kirchenoberen vor den damaligen Machthabern folgt einer klaren Weisung der Bibel. Im Brief des Paulus an die Römer, Kapitel 13, Vers 1 und 2, fordert der erste Theologe der Christenheit:
»Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen.«
Von einem offiziellen Bedauern oder gar einer Rücknahme dieses unseligen Papiers der Bischöfe habe ich nie gehört oder gelesen. Wo blieb der Aufschrei und der Protest der Kirchen, als in der Reichspogrom-Nacht von 1938 die Synagogen brannten? Einzelne mutige Pfarrer protestierten, die Kirchenleitungen schwiegen! Der evangelische Landesbischof von Thüringen, Martin Sasse, schrieb 1938 im Vorwort zu seiner Schrift »Martin Luther über die Juden – Weg mit ihnen!« sogar zustimmend:
»Am 10. November 1938, an Luthers Geburtstag, brennen in Deutschland die Synagogen. Vom deutschen Volk wird zur Sühne für die Ermordung des Gesandtschaftsrates vom Rath durch Judenhand die Macht der Juden auf wirtschaftlichem Gebiet im neuen Deutschland endgültig gebrochen und damit der gottgesegnete Kampf des Führers zur völligen Befreiung unseres Volkes gekrönt. … In dieser Stunde muss die Stimme des Mannes gehört werden, der als der Deutschen Prophet im 16. Jahrhundert aus Unkenntnis einst als Freund der Juden begann, der, getrieben von seinem Gewissen, getrieben von den Erfahrungen und der Wirklichkeit, der größte Antisemit seiner Zeit geworden ist, der Warner seines Volkes wider die Juden.« 57
Gewiss wäre es falsch und ungerecht, zu verallgemeinern und evangelische Christen insgesamt zu verurteilen. Aber immerhin handelte es sich bei den Autoren der beiden Dokumente um führende Repräsentanten einer Institution, die von sich behauptet, Interpretin und Hüterin göttlich gestifteter Moral zu sein. Mit welchem Recht wirft man dem einfachen Bürger vor, seinerzeit nicht Widerstand geleistet zu haben, wenn gut informierte, maßgebliche und meinungsbildende Köpfe die Verfolgung der Juden ideologisch rechtfertigten!
Es gab in der Tat Protest und Widerstand. Martin Niemöller (1892–1984) u. a. gründeten den Pfarrernotbund, der sich dagegen wehrte, »nichtarische« Christen aus der evangelischen Kirche auszuschließen. Ihm gehörten tausende evangelische Pfarrer an, sie halfen vielen verfolgten Juden in verschiedenster Weise. Aus dem Pfarrernotbund ging die »Bekennende Kirche« hervor. Sie stellte zwar nur eine Minderheit der deutschen Protestanten dar, wandte sich aber entschieden gegen die regimetreue Haltung großer Teile der offiziellen evangelischen Kirche. Ihre Wirkung zu Gunsten der Juden blieb jedoch begrenzt. Zum einen, weil viele ihrer Mitglieder verhaftet wurden, zum andern, weil erhebliche Teile dieser Bewegung zum Völkermord an den Juden – aus verständlicher Angst – schwiegen.
Wie differenziert sich die Situation der Kirchen im Nationalsozialismus darstellt, versucht ein unter dem Pseudonym Epikur63 schreibender Autor anhand von Dokumenten und Zitaten aufzuzeigen. Unter dem Titel »Die Kirche und der Nationalsozialismus« stellt er jeweils zehn Belege für die Zusammenarbeit und zehn Belege für praktizierten Widerstand zusammen. Eine weitere Zusammenstellung mit Originalzitaten zum Verhalten wesentlicher Repräsentanten der beiden deutschen Kirchen in der Zeit des Nationalsozialismus hat Wolfgang Klosterhalfen (*1945), Autor der »Reimbibel«, über das Internet zugänglich gemacht. Wer nach Lektüre dieser Texte immer noch der Meinung ist, dass die Kirchen insgesamt ein Bollwerk des Widerstands gegen die Barbarei des Nationalsozialismus gewesen seien, der will es offenbar nicht wahrhaben, dass eine Vielzahl hochrangiger Vertreter der Kirchen das Regime Adolf Hitlers unterstützt hat. 58 Schließlich war Hitler kein Atheist, er war Katholik und hat sich mehrfach zum Christentum bekannt. Exkommuniziert wurde er übrigens auch nie.
Papst Johannes XXIII. (1881–1963) zeigt sich in einem zwar sehr allgemein gehaltenen Gebet, das er 1963 kurz vor seinem Tod verfasste, offenbar aber einsichtig und reumütig, wenn auch für die Opfer zu spät:
»Wir erkennen heute, daß viele Jahrhunderte der Blindheit unsere Augen verhüllt haben, so daß wir die Schönheit Deines auserwählten Volkes nicht mehr sehen und in seinem Gesicht nicht mehr die Züge unseres erstgeborenen Bruders wiedererkennen. Wir erkennen, daß ein Kainsmal auf unserer Stirn steht. Im Laufe der Jahrhunderte hat unser Bruder Abel in dem Blute gelegen, das wir vergossen, und er hat Tränen geweint, die wir verursacht haben, weil wir Deine Liebe vergaßen. Vergib uns den Fluch, den wir zu unrecht an den Namen der Juden hefteten. Vergib uns, daß wir Dich in ihrem Fleische zum zweitenmal ans Kreuz schlugen. Denn wir wußten nicht, was wir taten.« 59
Bleibt abschließend die Frage, ob es noch heute offenen Antisemitismus beziehungsweise Antijudaismus gibt. Die Frage muss leider bejaht werden. Der latent immer noch vorhandene Antisemitismus in Teilen der Bevölkerung wird inzwischen unüberhörbar auch durch muslimische Zuwanderer geäußert. Sie begründen ihre Feindschaft gegen alles Jüdische mit eindeutigen Koranstellen oder folgen ihren Hass predigenden Imamen. Muslimische Schüler beleidigen ganz offen jüdische Mitschüler, der Ausdruck »Du Jude« ist wieder zu einem gängigen Schimpfwort geworden. Auf Demonstrationen gegen Israel werden Fahnen Israels verbrannt und dazu antijüdische Parolen skandiert. Es sind politische Gründe, antijüdische Parolen in den Schulen, auf Demonstrationen gegen Israel oder in Internet-Videos offiziell zu »überhören«. Man weicht von offizieller Seite lieber in eine möglichst allgemein gehaltene Verurteilung antijüdischer Äußerungen aus. Die Sorge, sich explizit muslimkritisch zu äußern, verhindert, eindeutig Stellung zu beziehen. Schließlich ist der Islam eine »befreundete« Religion, die möglichst nicht als Bündnispartner, zum Beispiel gegen Humanisten und Atheisten, verärgert werden soll. 60
Wie sehr die Kirche im Zusammenhang mit der Verfolgung der Juden im Dritten Reich sich ihrer »heiligen« Schrift zu schämen scheint, vor allem was das Verbrennen von Menschen in Ziegelöfen betrifft, geht aus einer Fälschung des folgenden Bibeltextes hervor. Dieser Text in Samuel 2, Kap. 12, Vers 31 lautet in seiner ursprünglichen, von Luther übersetzten Form wie folgt:
»Aber das Volk drinnen führte er heraus und legte sie unter eiserne Sägen und Zacken und eiserne Keile und verbrannte sie in Ziegelöfen. So tat er allen Städten der Kinder Ammon.«
In der von den deutschsprachigen Kirchen 1980 gemeinsam herausgegebenen Einheitsübersetzung lautet diese Stelle jetzt so:
»Auch ihre Einwohner führte er fort und stellte sie an die Steinsägen, an die eisernen Spitzhacken und an die eisernen Äxte und ließ sie in den Ziegeleien arbeiten. So machte er es mit allen Städten der Ammoniter.«
Man sieht, das Fälschen der Bibel hat bis heute kein Ende gefunden. 61 Übrigens auch Jesus spricht in Matthäus, Kapitel 13, in den Versen 42 und 50 von einem »Ofen«, in den die Ungläubigen geworfen werden. Das über viele Jahrhunderte praktizierte Verbrennen von Anders- und Nichtgläubigen durch die Kirche hat also eine Rechtfertigung aus höchstem Munde.
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3. Die Botschaft hör’ ich wohl …und das soll ich glauben?
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Die Hölle – ein weiterer wichtiger Begriff im Glaubensbekenntnis – spielt im weltweiten Christentum nach wie vor eine zentrale Rolle und ist zugleich die grausamste und niederträchtigste gedankliche Konstruktion, die Christentum beziehungsweise Kirche sich ausgedacht oder von anderen Religionen übernommen haben. Über eine Zeit von fast zweitausend (!) Jahren wurde den Menschen, die im Herrschaftsbereich der Kirche leben mussten, mit ewig andauernden entsetzlichsten Qualen für den Fall ungläubigen Verhaltens gedroht. Wie steht es eigentlich um die Überzeugungskraft einer Botschaft, die sich solch brutaler Einschüchterungen bedienen muss? Wie vereinbart sich das eigentlich mit der angeblich unendlichen Barmherzigkeit und Liebe Gottes zu den Menschen?
Jesus selbst, auf den diese über alle Maßen erbarmungslose Strafandrohung zurückgeht, kann nicht besonders überzeugt von der Wirksamkeit seines Predigens und Handelns gewesen sein. Denn er wird nicht müde und findet viele Gelegenheiten, auf die Konsequenzen der Ablehnung seiner Botschaft hinzuweisen, und schildert uns die dann zu erwartende Hölle als Ort ewig brennenden Feuers. Wie vereinbart sich die immer wieder beschworene »unendliche Liebe und Barmherzigkeit Gottes« und die auch von Jesus geforderte Nächsten- und sogar Feindesliebe mit solchen ewig (!) andauernden fürchterlichsten Schmerzzufügungen, die jene zu erwarten haben, die lediglich seine himmlische Botschaft nicht annehmen mögen? Jede Institution, die heute mit solchen Strafmaßnahmen, gar nie endenden, drohte, um ein bestimmtes Verhalten zu erzwingen, würde geächtet werden. Man würde das zu Recht als Androhung von Folter bezeichnen. Maßstäbe elementarster Formen von Humanität gelten aber offenbar nicht für die biblische Lehre.
Angeblich erwartet Gott das freiwillige Ja zu ihm. Wie kann aber von einer freien Entscheidung die Rede sein, wenn die Alternativen so extrem ungleichwertig sind. Wie kann Gott uns Willensfreiheit geben und gleichzeitig drohend verlangen, dass wir uns für ihn entscheiden? Wie kann man von einer freiwilligen und überzeugten Hinwendung zum Glauben sprechen, wenn als Alternative nur die denkbar größte persönliche Katastrophe droht!
Dass das Feuer in der Hölle nicht etwa nur symbolisch gemeint war, sondern als tatsächlich existierende und schmerzlichste Höllenglut zu verstehen ist, geht aus vielen kirchlichen Lehrbüchern und theologischen Lexika hervor. Auf unzähligen bildlichen Darstellungen mit christlich-religiösen Motiven und zum Beispiel auf vielen Deckenmalereien in Kirchen wird uns das höllische Inferno drastisch vor Augen geführt. Die Kirchengeschichte kennt nicht wenige Gläubige, die die Hölle als Gottes unwürdig, als Schandmal der christlichen Lehre ansahen und ihre Existenz daher leugneten. Sie mussten für ihre ketzerischen Ansichten prompt schon mal mit einem irdischen Höllenfeuer büßen.
Nach Meinung des Kirchenlehrers Augustinus bekamen ungetaufte Kinder das Höllenfeuer zu spüren, »wenn auch in weniger schmerzhafter Weise als alle, die persönliche Schuld auf sich geladen haben«. Später wurde daraus eine Vorhölle, wo ihnen ein von Qualen freier Aufenthaltsort zugewiesen würde. Päpste und Kirchenlehrer bauten im Laufe der Zeit die »Theorie« der Vorhölle, des Fegefeuers, einer Art läuternder und der Überprüfung dienender Zwischenstation, und der eigentlichen Hölle immer weiter aus und legten selbstherrlich fest, wer sicher, wer vielleicht, aus welchen Gründen und wie lange in das Fegefeuer oder für immer in die Hölle kommt und dort mit welcher Intensität gequält wird. 72
Eine solche ausgeklügelte Form von Sadismus kann eigentlich nur kranken oder durch eine Irrlehre deformierten Hirnen entsprungen sein. Dieses Einschüchtern und Drohen mit entsetzlichsten Konsequenzen für das Abweichen vom Glaubenspfad führte dazu – wie die Theologin Uta Ranke-Heinemann sarkastisch vermerkt – dass »der Christ sich mehr vor der Hölle fürchtet, als er sich auf den Himmel freut«. 73 Nach neuester »theologischer Erkenntnis«, durch eine vatikanische Kommission ermittelt und im Jahr 2007 verkündet, gibt es nun auf einmal keine Vorhölle mehr! Ist diesen selbstherrlichen und weltfremden alten Herren im Vatikan wirklich nicht bewusst, welche Anmaßung, Dreistigkeit und bodenlose Einfalt in ihren phantasierten Festlegungen über Vorhölle, Hölle und Fegefeuer stecken?
Somit hat Jesus der Menschheit über seine Verkünder nicht nur die Botschaft der Liebe und des Friedens gebracht, sondern auch die schlimmste aller denkbaren Drohungen, denen die Menschheit je ausgesetzt war. Abermillionen von Menschen litten und leiden bis heute unter dieser unsäglichen göttlichen Warnung vor ewiger Vergeltung, ewiger Folter. Gemessen an dem Elend, das diese Drohung in den Psychen nicht mehr zu zählender Menschen ausgelöst hat, verblasst die – selbst von Kritikern der christlichen Lehre – Jesus immer noch zugeschriebene einzigartige und vorbildhafte moralische Rolle. Zudem mussten ungezählte Menschen lebendigen Leibes den Feuertod erleiden, weil man seinerzeit bibeltreu glaubte, nur auf diese Weise ihre Seelen möglicherweise vor ewiger Höllenpein retten zu können. So betrachtet ist die Person Jesus (bzw. das ihm zugesprochene Wort) – man wagt es kaum auszusprechen, aber die Logik erzwingt es – Initiator für das größte psychische Unheil, das der Menschheit – zumindest im Einzugsbereich des christlichen Glaubens – je zugefügt wurde. Selbst wenn man einräumt, dass ebenso viele, vielleicht sogar noch mehr Menschen Trost und Hilfe in dieser Lehre fanden – welch ungeheurer Preis, mit wieviel Angst und psychischer Not musste dafür bezahlt werden!
Eine Religion, die über Jahrtausende und in vielen Ländern dieser Erde bis heute einen solchen Bestimmungsort für Menschen vorsieht, die sich nicht ihren zusammenphantasierten Vorstellungen fügen, ein Glaubenssystem, das ewige, grauenhafteste Folterungen selbst für nur einmalige Verfehlungen in einem kurzen Leben androht, eine Kirche, die also Folter (!) als selbstverständliche und von Gott eingesetzte Bestrafung für Glaubensungehorsam betrachtet und die über Wort und Bild schon die Psychen der noch Lebenden mit Horrorvisionen quält, verdient nur ein Urteil: menschenunwürdig und menschenverachtend!
Nun kommt das Überraschende: Der derzeit gültige katholische Katechismus kennt auf einmal die Hölle als Ort ewig quälenden Feuers nicht mehr! Kein Wort über diese Jahrtausende alte, finsterste Androhung, die über unzählige Predigten, Schriften und Bilder in den Köpfen wehrloser Menschen verankert wurde und stets genutzt werden konnte, Schafe samt aufmuckender Böcke bei der Stange zu halten. Welche Erkenntnisse sind denn in den letzten zwanzig, dreißig Jahren gewonnen worden, dass es nun plötzlich absolut verharmlosend heißt, die Hölle sei ein »Zustand der endgültigen Selbstausschließung aus der Gemeinschaft mit Gott und den Seligen«. An anderer Stelle heißt es: »Die schlimmste Pein der Hölle besteht in der ewigen Trennung von Gott …«. 74 Kein Wort mehr von jenen in der Bibel und später von der Kirche drastisch ausgemalten ewigen und entsetzlichsten Feuerqualen.
Altbischof Huber meinte in einer Talkshow wörtlich: »Die Hölle gibt es. Aber sie ist leer.« Da frage ich zurück: Hat Gott es sich anders überlegt oder kommt in diesem »Entgegenkommen« nur zum Vorschein, dass das alles theologische Konstruktion war, um Menschen durch Angst zu gehorsamen und demutsvollen Gläubigen zu machen?
Dieses kommentarlose, geradezu skrupellose Fallenlassen einer über zwei Jahrtausende geübten Erpressungspraxis ist von größter Unredlichkeit und Schäbigkeit, vor allem, wenn man sich bewusstmacht, welches unermessliche psychische und physische Unheil in und an Millionen Menschen über die Jahrhunderte angerichtet wurde, und dass sich unter anderem – oder vor allem? – auf Grund dieser von den Menschen bitterernst genommenen Androhung die zahlenmäßige Größe der Kirche erklärt. Es gibt seitens der Kirchen kein Wort des Bedauerns, keine erklärende Entschuldigung.
Dieser bemerkenswerte – aus der Sicht eines Christen eigentlich erfreuliche – Sinneswandel ist nun nicht etwa auf Mitleid mit den Ungläubigen oder auf die Wiederentdeckung des in der Bergpredigt geforderten barmherzigen Miteinanderumgehens zurückzuführen. Diese Uminterpretation beruht allein auf der Einsicht, dass man sich mit dieser mittelalterlichen Drohkulisse heute nur noch lächerlich macht. Stillschweigend wird also ein mächtiges und bewährtes Erpressungsmittel gestrichen. Man sieht, die kirchlichen Machtinstrumente greifen aufgrund der wachsenden Aufgeklärtheit der Menschen immer weniger. Und auch was vom dogmatischen Gebälk noch stehengeblieben ist, das ächzt und kracht in allen Fugen. …