Rainer Buchheim: Pflichtlektüre für Lebenskundelehrer und Katecheten

Gewiß gibt es seit der Auf­klä­rung und auch nach Nietz­sche und Daw­kins eine ganze Reihe her­vor­ra­gen­der reli­gi­ons­kri­ti­scher Werke. Setzt man diese aber einmal rein zah­len­mä­ßig ins Ver­hält­nis zu dem unüber­seh­ba­ren Wust reli­giö­ser, eso­te­ri­scher, spi­ri­tu­el­ler, theo­lo­gi­scher, erbau­lich-from­mer und fröm­meln­der Lite­ra­tur, so ist jedes Buch mehr, das einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung ver­pflich­tet ist, ein Gewinn. Und dieses Buch ist ein beson­de­rer Gewinn:

Leh­nert erläu­tert in über­schau­ba­rem Umfang und für den Laien ver­ständ­lich die phi­los­phi­schen und vor allem natur­wis­sen­schaft­li­chen Grund­la­gen einer athe­is­ti­schen oder agnos­ti­schen Welt­sicht, und das auf sehr prä­zise, popu­läre aber dabei kei­nes­wegs sim­pli­fi­zie­rende Weise. Aktu­elle Theo­rien der Astro- und Quan­ten­phy­sik flie­ßen dabei ebenso ein wie die neue­ren Erkennt­nisse der Evo­lu­ti­ons­bio­lo­gie und der Hirn­for­schung. Allein damit gelingt ihm der Nach­weis, dass Atheismus/Agnostizismus eben mehr ist als nur eine andere Art Glaube.

Im Kap. VI schreibt Leh­nert über einen seiner Lehrer: Frei von pole­mi­schen und aggres­si­ven Atta­cken, in geschlif­fe­ner Spra­che und gestützt auf ein umfang­rei­ches phi­lo­so­phi­sches, theo­lo­gi­sches und kul­tur­ge­schicht­li­ches Wissen ent­wi­ckelte Szc­zesny seine Posi­tion als Nicht­christ. Und genau dieser Dik­tion bleibt Leh­nert treu, wenn er sich im zwei­ten Teil des Buches anhand des nicht ganz ein­fa­chen Pro­blems der Wil­lens­frei­heit, der Frage von christ­li­cher Moral und mensch­li­cher Ethik, des Inhalts der Bibel sowie der Geschichte des Chris­ten­tums direkt mit Kirche, Reli­gion und Glau­ben aus­ein­an­der­setzt: unauf­ge­regt aber red­lich und kon­se­quent im Denken, gelas­sen aber kom­pro­miß­los im Urteil.

Doch Leh­nert läßt es nicht bei der Kritik bewen­den. In den beiden letz­ten Kapi­teln ent­wirft er ein zum reli­giö­sen alter­na­ti­ves Welt- und Men­schen­bild und skiz­ziert ein evo­lu­tio­när-huma­nis­ti­sches Her­an­ge­hen an den Sinn des Lebens.

Der Leser ahnt im Ver­lauf der Lek­türe, welch gewal­ti­ger Schatz an Wissen, Lebens­er­fah­rung und ‑weis­heit des Autors dem Werk zugrunde liegt. Es sei dem Suchen­den oder dem zwei­felnd Gläu­bi­gen ebenso emp­foh­len wie dem über­zeug­ten Athe­is­ten, der nach Argu­men­ten für die geis­tige Aus­ein­an­der­set­zung fahn­det. Es sei Pflicht­lek­türe für Lebens­kun­de­leh­rer ebenso wie für Katecheten!