Warum ich nicht glauben kann – Folge 2: Wissenschaftliche Argumente

 

Wegen auf­ge­tre­te­ner Miss­ver­ständ­nisse soll es vorab noch­mal betont werden:

Adres­sa­ten dieser Argu­men­ta­ti­ons­fol­gen sind in erster Linie jün­gere Men­schen, die sich bisher nicht mit Reli­gion aus­ein­an­der­ge­setzt haben und daher leicht Opfer von reli­giö­sen Eife­rern und Insti­tu­tio­nen werden können. Ange­spro­chen sind ferner nicht mehr Glau­bende, denen grif­fige, also leicht ein­seh­bare Argu­mente gelie­fert werden sollen für Dis­kus­sio­nen mit reli­giös leicht Ver­führ­ba­ren oder schon an ihrem Glau­ben Zwei­feln­den oder mit nur schein­bar Über­zeug­ten. Bei Letz­te­ren zeigt sich oft, dass ihnen die intel­lek­tu­el­len und mora­li­schen Zumu­tun­gen ihres Glau­bens gar nicht bewusst sind, weil sie nur einem all­ge­mei­nen Got­tes­glau­ben anhän­gen, sich aber Chris­ten nennen.-

   

Ich kon­zen­triere mich auch hier auf vier, mir bedeut­sam erschei­nende Punkte:

Natur­wis­sen­schaf­ten als dritte kul­tur­prä­gende Disziplin

Über Jahr­hun­derte war nach Mei­nung der Kirche die Erde der Mit­tel­punkt der Welt. Die Sonne drehte sich angeb­lich um die Erde, nicht die Erde um die Sonne. Die Kirche ver­trat damals bekannt­lich ein geo­zen­tri­sches Weltbild.

Die Astro­no­men KOPERNIKUS (1473−1543) und KEPLER (1571−1630) ver­tra­ten später ein helio­zen­tri­sches Welt­bild und wider­spra­chen damit der Behaup­tung der Kirche, dass die Erde der Mit­tel­punkt der Welt und des gött­lich geschaf­fe­nen Uni­ver­sums sei.

Das ist uns alles bekannt. Ich will darauf nicht näher ein­ge­hen. Ich will auf etwas ande­res hinaus. Ich will auf die geis­tig-kul­tu­relle Bedeu­tung dieser beiden Wis­sen­schaft­ler hinweisen.

Worin bestand die geis­tig-kul­tu­relle Bedeu­tung dieser beiden Astro­no­men? Ich habe es in meinem Buch so for­mu­liert (2018, 7. Aufl., S. 63):

»Worin bestand – neben der wis­sen­schaft­li­chen Leis­tung – die geis­tig-kul­tu­relle Bedeu­tung dieser Wis­sen­schaft­ler? Man kann es in einem Satz sagen: Sie – diese Astro­no­men – wagten es, ihre Ein­sich­ten und Beob­ach­tun­gen über die Auto­ri­tät der Kirche und der Bibel zu stel­len, sie trau­ten sich, ihren Ver­stand zu benut­zen und ihre empi­ri­schen Erkennt­nisse gegen nur behaup­tete, angeb­li­che Wahr­hei­ten, wie sie zum Bei­spiel auch in den alten Schrif­ten eines ARISTOTELES nie­der­ge­legt waren, zu setzen. Ihr Inter­esse galt nicht mehr den tra­dier­ten Texten und ihrer Inter­pre­ta­tion, son­dern den beob­acht­ba­ren und mess­ba­ren Fakten der Wirk­lich­keit. Sie lei­te­ten damit die ent­schei­dende Wende im Denken jener Zeit ein und eta­blier­ten neben der Phi­lo­so­phie und der Theo­lo­gie die Natur­wis­sen­schaf­ten als dritte prä­gende kul­tu­relle Disziplin.«

Also: Nicht was in den hei­li­gen Büchern stand, war für diese Wis­sen­schaft­ler maß­ge­bend. Was die Wirk­lich­keit sagte, war ent­schei­dend! Viele Aus­sa­gen der Bibel zur Ent­ste­hung der Welt und des Men­schen, die damals noch so wört­lich wie geschrie­ben geglaubt wurden, konn­ten anhand der Daten über die Wirk­lich­keit auf diese Weise wider­legt werden.

Ich bezeichne daher die Natur­wis­sen­schaf­ten gern auch als Wirklichkeitswissenschaften.

Geist ist eine Funk­tion der Mate­rie, keine eigen­stän­dige Wesenheit

Eine solche Aus­sage ist natür­lich ein Fron­tal­an­griff auf den Dua­lis­mus der Reli­gion: Hier der Geist, ihm gegen­über die Mate­rie. Hier Gott, ihm gegen­über die Welt.

Die Behaup­tung, dass der Geist eine Funk­tion der Mate­rie ist, ist in der Tat ein Fron­tal­an­griff auf das bisher gepflegte idea­lis­ti­sche Welt­bild von einem alles regie­ren­den Geist, der sich die Mate­rie unterwirft.

Vielen von uns ist ver­mut­lich der Text vom Anfang des Johan­nes-Evan­ge­lium bekannt: »Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und das Wort war Gott. … Alles ist durch das Wort gewor­den und ohne das Wort wurde nichts, was gewor­den ist.«

Eine natu­ra­lis­ti­sche – oder wenn man so will – eine mate­ria­lis­ti­sche Welt­sicht dage­gen behaup­tet, dass Geist keine eigen­stän­dige Wesen­heit ist, son­dern nur exis­tie­ren kann in Abhän­gig­keit von Materie.

Die Hirn­for­schung zum Bei­spiel erbringt täg­lich neue Belege dafür, dass der »Geist nicht vom Himmel gefal­len ist«, son­dern eine Funk­tion des mate­ri­el­len Gehirns ist. Wenn schach­spie­lende Com­pu­ter einen Welt­meis­ter zu schla­gen in der Lage sind, dann wird deut­lich, dass über Com­pu­ter­pro­gramme oder in ande­ren Fällen über sog. neu­ro­nale Netze geis­tige Leis­tun­gen rea­li­sier­bar sind, die bis­lang aus­schließ­lich dem Men­schen vor­be­hal­ten waren. Geist und geis­tige Leis­tun­gen sind also ganz offen­bar nicht an die Exis­tenz eines »beseel­ten« Men­schen gebunden.

Von man­chen Tieren wissen wir, dass sie in der Lage sind, selbst­stän­dig Pro­blem­lö­sun­gen zu ent­wi­ckeln. Gera­dezu spek­ta­ku­lär sind die Beob­ach­tun­gen und Expe­ri­mente mit Kolk­ra­ben. Sie können sich ange­sichts einer Pro­blem­stel­lung selbst ein­fa­che Werk­zeuge anfer­ti­gen, um zum Bei­spiel an begehr­tes Futter zu gelan­gen. Ähn­li­che Expe­ri­mente, die ein­deu­tig geis­tige Leis­tun­gen erfor­dern, sind von Schim­pan­sen und vielen ande­ren Tieren bekannt.

Also, die Behaup­tung lautet: Geis­tige Leis­tun­gen, die Denken erfor­dern, sind nicht nur Men­schen mög­lich, auch Tiere ver­fü­gen bereits ansatz­weise über geis­tige Fähig­kei­ten. Maschi­nen können, wie wir alle wissen, sogar hoch­kom­plexe geis­tige Funk­tio­nen über­neh­men. Aber – und das ist ent­schei­dend – Pro­zesse, die eine geis­tige Leis­tun­gen her­vor­brin­gen, sind immer an einen mate­ri­el­len Funk­ti­ons­trä­ger gebunden.

In Klar­text heißt das: Der Geist ist also aus natu­ra­lis­ti­scher Sicht keine eigen­stän­dige Wesenheit!

Man könnte an dieser Stelle dage­gen­hal­ten und argu­men­tie­ren, dass Gläu­bige unter Geist jene tran­szen­dente Kraft ver­ste­hen, die die Welt ins Dasein geru­fen hat und von daher über der Mate­rie steht. Aber das ist in meinen Augen nur Glaube, nur Behaup­tung, für die es kei­ner­lei über­zeu­gende Gründe gibt. Es wäre jeden­falls eine Macht, die nicht dem ent­sprä­che, was wir unter »Geist« ver­ste­hen, wenn wir von Ver­nunft, Refle­xion und der Fähig­keit spre­chen, über uns und die Welt nach­zu­den­ken und uns mit ihren Pro­ble­men auseinanderzusetzen.

Ande­rer­seits – und da sind Gläu­bige und Nicht­gläu­bige wohl wieder dich­ter bei­ein­an­der – können wir fest­stel­len, dass die Welt exis­tiert. Woher sie kommt und wie sie ent­stan­den ist, wissen wir nicht. Wir können nur Ver­mu­tun­gen, Hypo­the­sen auf­stel­len. Viel­leicht exis­tiert sie schon immer. Das ist denk­bar und doch auch schwer vor­stell­bar. Wenn Gott sie erschaf­fen haben soll, fragen wir uns sofort: Wer hat dann Gott geschaffen?

Unsere All­tags­lo­gik und unser Denken in Ursa­che und Wir­kung kommen bei der Beant­wor­tung der Fragen nach dem aller­ers­ten Anfang ganz offen­sicht­lich an ihre Gren­zen. Meine – hier pau­schale – Ant­wort darauf lautet: Unsere All­tags­lo­gik ist nicht in der Lage, darauf eine befrie­di­gende Lösung zu ent­wi­ckeln. Unsere All­tags­lo­gik ist ganz offen­bar ein Spe­zi­al­fall einer all­ge­mei­ne­ren Welt­lo­gik – wie ich sie nenne. Nur die dürfte darauf eine Ant­wort ermöglichen.

Die Astro­phy­si­ker beleh­ren uns, dass mit dem Urknall erst Raum und Zeit ent­stan­den sind. Wenn es also »vor« dem Urknall keine Zeit gab, dann gab es auch keine Auf­ein­an­der­folge von Ursa­che und Wir­kung. Unser Denken in Kau­sa­li­tä­ten, also unser Frage nach der Ursa­che des Urknalls, nach dem aller­ers­ten Anfang könnte dann nicht sinn­voll gestellt werden. Mit ande­ren Worten: Jedes Nach­den­ken über den Anfang der Welt mit den uns ver­trau­ten logi­schen Mit­teln bewegt sich eigent­lich auf unzu­läs­si­gen Bahnen. Ein Agnos­ti­ker könnte in dieser Argu­men­ta­tion eine astro­phy­si­ka­li­sche Begrün­dung für seine Auf­fas­sung sehen.

Gläu­bige sind ferner der Über­zeu­gung, dass Gott uns eine imma­te­ri­elle, unsterb­li­che Seele ver­lie­hen hat. Meine Ant­wort darauf lautet: Wir können aus wis­sen­schaft­li­cher Sicht keine Seele erken­nen, nur eine Psyche. Die aber ist auf die mate­ri­el­len Struk­tu­ren des Gehirns ange­wie­sen. Mit unse­rem Tod zer­fal­len diese Struk­tu­ren und damit auch unsere Psyche.

Moral ist über Koope­ra­tion und Empa­thie evo­lu­tio­när entstanden

Der nächste Punkt klingt in den Ohren eines Gläu­bi­gen nicht weni­ger pro­vo­ka­tiv. Laut Bibel sind die Zehn Gebote Mose von Gott über­reicht worden. Und von Jesus stam­men wei­tere wesent­li­che mora­li­sche Grund­sätze. Vor­nehm­lich in der sog. Berg­pre­digt geäußert.

Selbst KANT, der sich bekannt­lich schwer tat, einen Gott anzu­er­ken­nen, konnte schließ­lich nicht umhin, Gott zu pos­tu­lie­ren. Denn wenn es – so KANT – keinen Gott gäbe, dann gäbe es für uns Men­schen letzt­lich keinen zwin­gen­den Grund, sich sitt­lich und mora­lisch zu ver­hal­ten. Nur die Aus­sicht auf Beloh­nung oder Strafe in einer jen­sei­ti­gen Welt hält uns an, sich mora­lisch zu ver­hal­ten. So jeden­falls KANT. Man spricht in diesem Zusam­men­hang von KANTs mora­li­schem Got­tes­be­weis (Kant 1724–1804).

KANT schloss also aus dem Vor­han­den­sein einer mora­li­schen Ord­nung in dieser Welt auf Gott als den einzig denk­ba­ren Begrün­der und Garan­ten dieser Moral.

Da kommt nun die noch junge Sozio­bio­lo­gie daher und behaup­tet, dass Moral kei­nes­wegs gött-lichen Ursprungs ist, son­dern sich evo­lu­tio­när ent­wi­ckelt hat. Man wird zu Recht fragen, wie man das bewei­sen will.

Nun, man kann in der Tat zeigen, dass Moral zwei Wur­zeln hat: die Koope­ra­tion und die Empa­thie. Und man kann nach­wei­sen – und das ist ganz ent­schei­dend – dass Moral sich evo­lu­tio­när ent­wi­ckelte, weil sie einen Über­le­bens­vor­teil dar­stellte, und zwar schon in der Tierwelt!

Denn eine zusam­men­le­bende Gruppe von Tieren eines Stam­mes hat mehr Erfolg und damit eine höhere Über­le­bens­chance, wenn sie gemein­sam jagt und gemein­sam Feinde abwehrt. Wenn sie also koope­riert. Koope­ra­tion hat ja auch etwas mit Soli­da­ri­tät zu tun, es bedeu­tet: Für-ein­an­der-Ein­ste­hen. Beob­ach­ten kann man sol­ches Ver­hal­ten sehr gut z.B. bei höhe­ren Säu­ge­tie­ren, wie Löwen, Wölfen oder z.B. Hyänen. Sie jagen gemein­sam und wehren gemein­sam Feinde ab.

Koope­ra­tion ist also die eine Wurzel bezie­hungs­weise Keim­zelle der Moral. Empa­thie ist die zweite Wurzel. Empa­thie meint, dass ich mich in den ande­ren hin­ein­den­ken kann und damit Mit­ge­fühl für ihn ent­wi­ckele und zum Bei­spiel dem in Not befind­li­chen Stam­mes­an­ge­hö­ri­gen helfe.

Sei es, dass ich ihm bei­stehe, zum Bei­spiel wieder aus einem Sumpf­loch zu ent­kom­men oder dass ich ihm in der Not an meinem Futter teil­ha­ben lasse.

Mit Moral in dem Sinne, wie wir mora­li­sches Ver­hal­ten heute ver­ste­hen, hatte das zunächst noch wenig zu tun. Es han­delte sich um ange­bo­rene Ver­hal­tens­wei­sen, die dem gemein­sa­men Über­le­ben dien­lich waren. Im Laufe der Evo­lu­tion ent­stan­den daraus nach und nach schließ­lich Normen und Regeln sozia­len Ver­hal­tens, die dem sozia­len Frie­den und dem gemein­sa­men Wohl­erge­hen dien­ten, etwas also, was wir heute schließ­lich wün­schens­wer­tes Sozi­al­ver­hal­ten oder Moral nennen.

Frans de Waal, ein hol­län­di­scher Ver­hal­tens­for­scher und Sozio­bio­loge, bringt schöne Bei­spiele für sol­ches »mora­li­sche« Ver­hal­ten. Ich erwähne mal zwei Beispiele:
Er beob­ach­tete zum Bei­spiel wie eine Ele­fan­ten­herde ein Jung­tier mit ver­ein­ten Kräf­ten aus einem Sumpf ret­tete und erst dann wei­ter­zog oder wie eine Ele­fan­ten­kuh über Wochen eine andere, aber blinde Ele­fan­ten­kuh durch sanfte Rüs­sel­schläge rechts und links tag­täg­lich zu den Fut­ter­stel­len und Was­ser­quel­len diri­gierte und so ein Mit­glied ihres Stam­mes vor dem Ver­hun­gern und Ver­durs­ten bewahrte.

Ent­schei­dend ist, dass ein Stamm mit höhe­rer Wahr­schein­lich­keit über­lebte, wenn seine Mit­glie­der sol­ches Ver­hal­ten unter­ein­an­der zeig­ten. Näm­lich zu koope­rie­ren und Mit­ge­fühl mit dem in Not Befind­li­chen zu zeigen. Höhere Über­le­bens­chance erhöhte auch die Chance zur Wei­ter­gabe sol­cher nütz­li­cher Gene.

Und aus reli­giö­ser Sicht betrach­tet ganz bedeut­sam: Die Befol­gung dieser Kern­ele­mente von »Moral« liegt im gegen­sei­ti­gen Inter­esse aller Betei­lig­ten. Zur Durch­set­zung einer sol­chen Moral bedarf es daher weder der Ver­hei­ßung himm­li­scher Freu­den noch der Andro­hung höl­li­scher Bestrafung.

Dass Moral sich evo­lu­tio­när her­aus­ge­bil­det hat und uns nicht von Gott in Form einer Stein­ta­fel über­ge­ben wurde, geht auch daraus hervor, dass die Kern­ele­mente unse­rer Moral, welt­weit in fast iden­ti­scher Form bekannt und gültig sind. Welt­weit gilt, dass wir nicht lügen und betrü­gen, nicht steh­len und morden und dem in Not befind­li­chen Mit­men­schen helfen sollen.

So viel zum Thema Moral und ihre evo­lu­tio­näre Ent­ste­hung. Da KANT noch vor DARWIN starb, war ihm das Kon­zept der Evo­lu­tion noch nicht bekannt. Dass sich auch Moral evo­lu­tio­när ent­wi­ckeln könnte, stand ihm als Erklä­rung nicht zur Verfügung.

Ein letz­ter Punkt zur Rubrik »wis­sen­schaft­li­che Argumente«:

Die Evo­lu­ti­ons­theo­rie erklärt die Menschwerdung

In der Bibel steht, dass Gott den Men­schen aus einem Erdenkloß geformt und ihm seinen Odem ein­ge­flößt hat. Und weiter behaup­tet die Bibel, dass Gott uns als sein Eben­bild geschaf­fen hat. Jahr­tau­sende lang glaub­ten Juden und Chris­ten­heit das so ganz wortwörtlich.

Bis CHARLES DARWIN kam und mit seiner Evo­lu­ti­ons­theo­rie im Jahr 1859 zeigte, dass der Mensch sich aus der Tier­welt heraus ent­wi­ckelt hat. Und zwar nicht ziel­ge­rich­tet, also nicht auf­grund eines gött­li­chen Plans.

Alle Lebe­we­sen – und damit auch der Mensch – ent­stan­den aus dem Zusam­men­spiel aus zufäl­li­ger gene­ti­scher Ände­rung, Muta­tion genannt, und Bewäh­rung dieser jeweils so ent­stan­de­nen neuen Eigen­schaft oder Ver­hal­tens­weise in der jeweils exis­tie­ren­den Umwelt. Eigen­schaf­ten oder Ver­hal­tens­wei­sen, die einem Indi­vi­duum Vor­teile im Über­le­bens­kampf boten, hatten die Chance an spä­tere Gene­ra­tio­nen weiter ver­erbt zu werden und so im Laufe der Zeit völlig neue Arten her­aus­zu­bil­den. Eigen­schaf­ten oder Ver­hal­tens­wei­sen, die für das Indi­vi­duum dage­gen Nach­teile im Über­le­bens­kampf dar­stell­ten, gingen in der Regel mit dem Indi­vi­duum wieder unter.

Die bio­lo­gi­sche Evo­lu­ti­ons­theo­rie wird heute von der über­wäl­ti­gen­den Mehr­heit der Wis­sen­schaft­ler in ihren Grund­aus­sa­gen nicht mehr ange­zwei­felt, auch wenn gewisse Fragen, die aber nicht von prin­zi­pi­el­ler Natur sind, nach wie vor unge­klärt sind.

Auf jeden Fall war die Dar­win­sche Evo­lu­ti­ons­theo­rie damals ein Schock für die christ­li­che Welt. Des­halb hat der Vati­kan es erst im Jahr 1996 (!) fertig gebracht, die Evo­lu­ti­ons­theo­rie als wis­sen­schaft­li­che Erklä­rung für die Ent­wick­lung des Men­schen anzuerkennen.

Aber auch das nur unter der Bedin­gung, dass Gott die Ent­wick­lung auf den Men­schen als Ziel gelenkt und ihm im Gegen­satz zum Tier eine unsterb­li­che Seele ver­lie­hen habe.

Das mit der Seele mag man glau­ben. Aber wis­sen­schaft­lich defi­ni­tiv falsch an dieser Erklä­rung des Vati­kans ist die Behaup­tung, dass die Evo­lu­tion ziel­ge­rich­tet vor­ge­gan­gen sei. Unter ande­ren Umwelt­be­din­gun­gen hätte sich ent­we­der ein Wesen von der Art des Men­schen über­haupt nicht ent­wi­ckelt oder es wäre mög­li­cher­weise als Wesen her­vor­ge­gan­gen, das hin­sicht­lich äuße­rem Erschei­nungs­bild und seiner Eigen­schaf­ten sich erheb­lich von uns unter­schei­den würde. Und die Behaup­tung, dass Gott die Evo­lu­tion nach seiner Vor­stel­lung gelenkt habe, dürfte der wenig über­zeu­gende Ver­such sein, Gott, Bibel und Evo­lu­tion in Einklang zu bringen.

Über die Seele, die Gott angeb­lich dem Men­schen ein­ge­pflanzt hat, kann und will die Wis­sen­schaft nichts aus­sa­gen. Die Seele ist aus wis­sen­schaft­li­cher Per­spek­tive zumin­dest mit heu­ti­gen Metho­den weder mess­bar noch sonst wie nach­weis­bar. Für den Natur­wis­sen­schaft­ler exis­tiert folg­lich eine unsterb­li­che Seele fak­tisch nicht.–

Allein diese vier Bei­spiele zeigen, dass das Mono­pol der Kirche auf Besitz und Ver­kün­dung angeb­lich ewiger Wahr­hei­ten immer mehr in Frage gestellt wurde. Die herr­schende Lehre der Kirche begann so nach und nach ihren domi­nie­ren­den Ein­fluss auf das moderne Welt­bild zu verlieren.

MARTIN LUTHER wird gerühmt für seine Über­set­zung der Bibel ins Deut­sche. Die bibli­schen Texte und die bibli­sche Lehren erfuh­ren dadurch eine große Ver­brei­tung und beein­fluss­ten zusam­men mit der Größe eines MARTIN LUTHER die kul­tu­relle Ent­wick­lung in Europa in erheb­li­chem Maße. Die Natur­wis­sen­schaf­ten haben – neben der Reli­gi­ons­wis­sen­schaft und auch der Archäo­lo­gie – die bibli­schen Lehren aber schritt­weise als fromme Legen­den ent­zau­bert. Inso­fern kann man sagen, dass KEPLER, KOPERNIKUS, GALILEI und DARWIN, später EINSTEIN und HAWKING, um nur einige Namen stell­ver­tre­tend zu nennen, den Aus­sa­gen der Bibel und der christ­li­che Lehren, wie über­haupt der Reli­gio­nen, nach­hal­tig ihre bis­he­rige Bedeu­tung genom­men haben.

Man kann als glau­ben­der Mensch den­noch sagen, dass man alle wis­sen­schaft­li­che Erkennt­nis und alle daraus logisch abge­lei­te­ten Argu­mente igno­rie­ren und ein­fach glau­ben will. Das ist selbst-ver­ständ­lich erlaubt. Denn vielen Gläu­bi­gen ist es offen­bar pro­blem­los mög­lich, mit zwei nicht mit­ein­an­der zu ver­ein­ba­ren­den Welt­bil­dern zu leben. Einem Welt­bild, das aus einer Zeit stammt, als man der Gott­heit noch Tier- und Men­schen­op­fer dar­brachte, die Welt von Dämo­nen beherrscht sah und die Hölle als einen ewig bren­nen­den Bestim­mungs­ort für Ungläu­bige erfand. Und einem Welt­bild, dessen phi­lo­so­phi­sche, natur­wis­sen­schaft­li­che, medi­zi­ni­sche und tech­ni­sche Früchte sie selbst­ver­ständ­lich in Anspruch nehmen, das aber nur ent­ste­hen konnte, weil man die alte Welt­an­schau­ung und ihre Denk­weise über­wand. Beides passt nicht zusam­men, aber man kann gut damit leben, wenn man das Nach­den­ken an dieser Stelle einstellt.

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Sys­te­ma­ti­scher und gründ­li­cher werden diese und viele wei­tere Fragen zu Chris­ten­tum und Reli­gion behan­delt in dem Buch »Warum ich kein Christ sein will – Mein Weg vom christ­li­chen Glau­ben zu einer natu­ra­lis­tisch-huma­nis­ti­schen Welt­an­schau­ung«. Tectum Wis­sen­schafts­ver­lag, 2018, 7., voll­stän­dig über­ar­bei­tete Auf­lage. Spe­zi­ell zu obigem Bei­trag finden sich Aus­füh­run­gen in Kapi­tel III und in Kapi­tel V,3.

Mehr zum Buch über den Buch­ver­sen­der Amazon. Siehe dort den Ein­füh­rungs­text und die Buch­kri­ti­ken. Mit­un­ter schnel­ler über den Buch­han­del – Lie­fer­zeit ein oder zwei Tage.

Aus­führ­lich führt die vor­lie­gende Inter­net­seite https://warum-ich-kein-christ-sein-will.de/ in das Buch ein, u.a. mit Lese­pro­ben, Lesun­gen und Inter­views mit mir.

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